
Es ist der 20. August und draußen scheint die Sonne. Ihre Strahlen scheinen so hell, als würde sie mich verhöhnen, mich und meinen Schmerz, die Dunkelheit und Fassungslosigkeit in mir. Die Fassungslosigkeit über all das, was passiert ist. und das, was eben einfach nicht passiert. Ich kann sie nicht in mein Herz lassen, heute nicht. Zu lange schon ist es ein Kampf, die Sonne in mein Herz zu lassen. Mit jedem Monat der verstreicht wird es ein klein bisschen härter, nicht zu kapitulieren und je mehr Zeit verstreicht umso schwerer fällt es mir, nicht einfach aufzugeben. Denn die Gedanken sind da, die düstere und beklemmende Angst wie lange dieser Zustand einfach nicht aufhören wird und die Wut darüber, wie sehr mein gesamtes Leben darunter leidet. Die Angst vor einem weiteren Abend den ich alleine in meiner Wohnung verbringen werde, denn meine Liebsten können und sollen ja auch nicht rund um die Uhr bei mir sein. Es ist nicht nur ein Wochenende alleine, es sind auch keine zwei Wochen, auch kein Monat, sondern seit meiner Infektion im Januar sind fast 9 Monate vergangen. Seit einem 3/4 Jahr darf ich keinen Sport machen, und versuche große Massen zu meiden. Nicht weil ich Angst vor ihnenen habe, sondern weil bei fast jedem Treffen, sei es auch nur mit einer einzigen Person, mein Körper zusammenbricht. Manchmal direkt, manchmal 1 Stunde danach, manchmal am nächsten Morgen.
Und dann gibt es Momente wie diese, in denen mich die Hoffnung verlässt. Die, die ein Buch über ihren Gott, der sie sieht, schrieb. Die, die ein Buch darüber schrieb, wie Gott ihr Herz heilt und woraufhin hunderte von Frauen ein Stückchen Heilung und Ermutigung finden. Erst ein paar Monate ist es her, dass es erschienen ist, und nun sitze ich hier, verbittert und verlassen in meinem Bett. Mit einer Frage, die immer lauter wird: „Gott, wo bist du jetzt?“, während mir stumm die Tränen das Gesicht herunter laufen. Wo bist du, wenn ich verzweifelt und traurig bin, weil ich spüre wie sehr mein Freund und meine Familie mit mir mitleiden, weil sie mir das alles hier einfach nicht ersparen können. Wo bist du, wenn ich vor Angst und Wut schreie, weil dieser Alptraum einfach nicht aufhört? Wo bist du Gott, wenn Leid und Krankheit einfach kein Ende nimmt in einem Leben?
Müsste ich nicht wissen, wo er ist? Ich schäme mich, und frage mich, wie es wieder so weit kommen konnte, dass ich seine Gegenwart nicht spüre. Ich weiß dass ich Gott keinen Vorwurf machen sollte, aber ich kann nicht anders. Ein gebrochenes Herz, mit ihm konnte ich mich irgendwie anfreunden. Ja immer mehr habe ich sogar gelernt mein gebrochenes Herz Gott ängstlich hinzuhalten, damit es unter seinem Blick gesund wird. Doch was mache ich mit einem Körper, der nicht mehr Funktionieren will und einem gebrochenen Nervensystem?
Ich habe gelernt, Gott mein gebrochenes Herz hinzuhalten, aber was mache ich mit einem Körper, der nicht mehr funktionieren will und einem gebrochenen Nervensystem?




August 2021, Momente, in denen es mir gut ging und mein Herz voll Freude war
Mein Nervensystem ist nicht gebrochen, aber könnte es das, wäre es. So stelle ich mir zumindest bildlich das vor, was in mir vorgeht. Ich wusste bis vor wenigen Wochen nicht, wie sehr unser Körper ein Ganzes ist. Wie sehr Körper, Seele und Geist miteinander verbunden sind, und wie sehr nicht nur unser Herz von unserer Vergangenheit verwundet sein kann. Jetzt weiß ich es, und noch viel schlimmer, ich spüre es. Ich spüre es jedes Mal wenn ich sehe, wie draußen die Welt ohne mich weitergeht. Ich spüre den Bruch an jedem Sommerabend, an dem ich mich auf mein Fahrrad schwingen möchte, zum See fahren will und im kalten Wasser meine Bahnen ziehen will. Etwas in mir bricht, wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte mal alleine durch den Wald gelaufen bin und etwas in mir bricht, wenn ich mich in all die Cafés wünsche, die ich noch nicht besucht habe. Ich liebe das Leben, ich liebe die Welt die um mich herum passiert und ich glaube trotz all dem momentanen Ächzen und Ströhnen der Schöpfung an das Gute. Ich habe doch erlebt, wie gut Gott ist. Ich habe geschmeckt. wie süß seine Gnade ist. Aber gerade ist der Kelch den er mir hinhält bitter, manchmal bittersüß. Aber mit jeder Woche die vergeht und mit jedem Mal in dem ich mir eingestehen muss, in welcher Lage ich bin, wird er ein klein wenig unappetitlicher.
“Ich spüre den Bruch an jedem Sommerabend, an dem ich mich auf mein Fahrrad schwingen möchte, zum See fahren will und im kalten Wasser meine Bahnen ziehen möchte. Und etwas in mir bricht, wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte mal meine Strecke durch den Wald gelaufen bin.”
Nachdem ich die letzten 5 Tage im Bett lag und mich kaum selbst versorgen konnte, wagte ich heute Morgen einen Arzttermin. Ein Freund fährt mich hin, ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, nicht mehr alleine etwas unternehmen zu können. Die Arzthelferin meckert mich an, wieso ich erst jetzt komme, und ich schaffe es nicht, ihr zu erklären, dass ich jeden Tag insgeheim und betend hoffe, dass ich am nächsten Tag gesund aufwachen würde und muss weinen. Und auch der Arzt verschont mich nicht und schaut mich ernst an: „Frau Serrer, ich kann ihnen Antibiotika für ihre geschwollenen Mandeln und Lymphknoten geben, aber das löst ihr Problem nicht. Er schaut an mir herab, lässt einen Blick über meinen vernarbten Arm schweifen und meint es ganz ernst: Ich kann hier heute nicht ihr Problem lösen. Sie müssen ihr Immunsystem in den Griff bekommen. Ihre Mandeln sind komplett vernarbt, sie sitzen vor mir wie ein Häufchen Elend und ich hoffe wirklich, dass sie die Kurve bekommen.“ Ich würde ihm so gerne von all den Verletzungen erzählen, denen ich ausgesetzt war und ihm erzählen, dass ich mir all die Stürme und Feuer nicht ausgesucht habe. Und das ich kämpfe, dass ich ernst nehme, was er sagt. Aber ich bin stumm. Mir fehlen die Worte. Ich habe mir diesen Kampf nicht ausgesucht, denke ich.
Er ist der erste Arzt, der ausspricht, was ich die ganze Zeit schon weiß. Es ist ernst. Das ganze lässt sich nicht mit einer Vitamin C Kapsel und Bettruhe lösen. Und auch bei ihm kann ich die Tränen gerade noch zurückhalten und lasse mich wieder nach Hause fahren. Wie konnte es nur so weit kommen?
Doch eigentlich weiß ich, wie es soweit kommen konnte. Ich wusste bisher nur nicht, dass nicht nur mein Herz brechen könnte, sondern dass auch mein Körper einen so großen Schaden unter all der Last der letzten Jahre erleiden könnte. Doch je mehr ich recherchiere, lese und höre, desto mehr Sinn macht alles. In den letzten Jahren hatte ich so viele Infekte, so oft schub ich meinen Schwindel oder Schwäche auf eine Nahrungsunverträglichkeit und so oft löste ich nur oberflächlich mein Problem, dessen Ursprung viel tiefer saß:
Nicht nur mein Herz hat unter der Last der letzten 20 Jahre gelitten, sondern noch mehr Organe in mir. Und genau der Ort im Körper, der alles steuert und kontrolliert, ist gebrochen: .Mein Nervensystem. Mein Nervensystem hat ein Trauma.
“Nicht nur mein Herz hat unter der Last der letzten 20 Jahre gelitten, sondern noch mehr Organe in mir. Und genau der Ort im Körper, der alles steuert und kontrolliert, ist gebrochen: Mein Nervensystem.”
Das Nervensystem umfasst alle Nervenzellen des Körpers. Es kommuniziert mit der Umwelt und steuert gleichzeitig viele Mechanismen im Inneren. Dabei nimmt es Sinnesreize auf, verarbeitet sie und löst Reaktionen wie Muskelbewegungen oder Schmerzempfindungen aus. Es reguliert alle lebensnotwendigen Systeme im menschlichen Körper, wie das vegetative und peripheres Nervensystem in unserem Gehirn, unsere innere Organe, den Hormonhaushalt, unsere Muskeln, Sinnesorgane, unser Blut und den Blutkreislauf die Atmung. Es ist verantwortlich dafür, wie wir mit Stress umgehen. Stress, den kenne ich.
Und noch etwas steuert das Nervensystem: Unser Immunsystem. Und langsam macht alles Sinn. Körper, Seele und Geist macht plötzlich so viel mehr Sinn, als noch davor. Wir sind eins, ein Ganzes. Geht es unserem Herzen schlecht, wirkt sich das auf unseren Körper aus, und andersherum genauso, Und ist ein Organismus jahrelangem psychischem Stress ausgesetzt, bricht nicht nur ein Herz. Sondern auch ein Nervensystem. Ein Nervensystem kann ein Trauma erleiden. Und wenn man sich dann wie ich noch mit Corona ansteckt, ist das nur noch ein Tropfen auf einem heißen Stein. Das Nervensystem und Immunsystem reagieren letztendlich total über, und herauskommt: Mein aktueller Zustand.
“Und langsam macht alles Sinn. Körper, Seele und Geist macht plötzlich so viel mehr Sinn, als noch davor. Wir sind eins, ein Ganzes.”
Viele Ärzte konnten in den letzten Monaten keine Erklärung für meinen Zustand finden und alles was sie vorfinden sind unauffällige Untersuchungen. Ich habe keine organischen Schäden an Herz, Lunge oder Gehirn und trotzdem fühle ich mich, als hätte mich das Leben überfahren. Und die Antworten kommen nun ganz langsam. Es ist mein Nervensystem.
Wie ich damit umgehen kann, bringe ich mir gerade selbst bei. Immer wieder schenkt Gott mir die richtige Abzweigung und weist mich auf etwas hin. Seine liebevolle Hand führt mich durch diesen Sturm. Die Ärzte wissen nicht viel, fertigen mich ab, erkennen die Zusammenhänge zu wenig, weil sie sich meist nur auf ein Bereich und Organ konzentrieren. Also bringe ich mir bei und lerne und verstehe was gerade los ist. Wie jedoch mein Herz damit umgehen kann, dass muss Gott mir beibringen. Ich spüre jetzt schon, dass diese Zeit nicht spurlos an mir vorüber geht. Diese monatelange Isolation, Machtlosigkeit und Selbstunwirksamkeit zehren an all dem, was die letzten Jahre seelisch in mir heil geworden ist. Und gerade ist meine Verzweiflung und Ohnmacht noch zu groß, um dagegen ankämpfen zu können. Und vielleicht muss ich das nicht. Vielleicht darf ich auch einfach ruhen, und warten, bis er mir die Antworten gibt, die mein Herz braucht.
Er wird es, das weiß ich. Das hat er schon so viele Male zuvor getan.

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